Pressemitteilung: Die Deutsch-Ukrainische Historikerkommission zum russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine

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Heute morgen hat der russische Präsident Putin der Ukraine den Krieg erklärt. Der Angriff Russlands bringt unabsehbares Leid über die Ukraine. Der Krieg ist eine Katastrophe für die Ukrainerinnen und Ukrainer und zugleich ein Angriff auf die fundamentalen Werte Europas und der Vereinten Nationen.

Der Angriffskrieg Putins ist Teil einer Strategie zur Herstellung einer russisch beherrschten imperialen Ordnung in Eurasien. Die Grundwerte wie die Achtung territorialer Integrität und Gewaltverzicht, auf die sich auch Russland mannigfach international verpflichtet hat, werden damit mit Füßen getreten.

Die Instrumentalisierung von Geschichte spielt in Putins Kriegsrhetorik, die den Angriff begleitet, eine hervorgehobene Rolle. Es ist ungeheuerlich und stellt die Geschichte auf den Kopf, dass Putin sich bei seinem Krieg auf ein Ziel wie „Denazifizierung“ beruft. Zu den von Putin genutzten Geschichtsmythen erklärt die Deutsch-Ukrainische Historikerkommission erneut:

Die Ukraine ist eine europäische Nation. Viele europäische Nationen teilen mit ihren Nachbarn eine in das Mittelalter und die Frühneuzeit zurückreichende verflochtene Geschichte gemeinsamer Herrschaft. Ein Beispiel dafür ist die auf das Frankenreich zurückgehende Geschichte Deutschlands und Frankreichs oder die Geschichte Deutschlands und Österreichs. Putin stellt aufgrund der historischen russisch-ukrainischen Verflechtungen heute die Nationalstaatlichkeit in Frage und nimmt damit die Tradition einer gegen die ukrainische Nation gerichteten Politik des späten Zarenreichs wieder auf. Dies ist ein Rückfall in das imperiale Zeitalter. Die ihm zugrunde liegende Denkweise ist für den mühsam errungenen Frieden in Europa nach 1945 brandgefährlich und muss 2022 der Vergangenheit angehören.

Nationalstaaten sind souverän und haben das Recht der freien Bündniswahl. Dass die Ukraine heute unabhängig und souverän ist, geht auf eine Entscheidung Russlands, der Ukraine und Belarus von 1991 zurück, die Sowjetunion gemeinsam aufzulösen. Es gibt keine Verträge, die die Bündniswahl der Ukraine und anderer ostmittel- und osteuropäischer Staaten einschränken. Bei der Behauptung, dass Russland von der NATO oder einzelnen westlichen Staaten in verbindlicher Form zugesichert worden wäre, einen NATO-Beitritt von Staaten des östlichen Europa auszuschließen, handelt es sich um einen Mythos.

Grundlagen einer verantwortlichen, zukunftsorientierten Politik sind in der Schlussakte von Helsinki von 1975 und in der Charta von Paris 1990 formuliert worden, die auch von Moskau unterzeichnet wurden. Die europäische Politik darf hinter diese Grundsätze nicht zurückfallen. Der russischen Aggression gegen die Ukraine müssen die europäischen Staaten zusammen mit den USA entschlossen begegnen. Ein "Weiter-So" wie nach der unverändert anhaltenden russischen Besetzung von Transnistrien/Moldawien (1991) und Südossetien/Georgien (2008) darf es nicht geben.

Putins historische Argumentation ist dilettantisch und hält wissenschaftlicher Kritik nicht stand. Wie auch immer man diese beurteilt, in keinem Fall darf die Vergangenheit herangezogen werden, um heute eine Politik der militärischen Aggression zu betreiben. Angesichts der Bedrohung der Ukraine fordern wir die deutsche und die ukrainische Regierung auf, aktive Schritte zur Stärkung der ukrainischen Sicherheit zu unternehmen. Nachdem Russland das Budapester Memorandum von 1994 verletzt hat, ist es nötig, Schritte zur euro-atlantischen Integration der Ukraine zu ergreifen.

 

Martin Schulze Wessel, Yaroslav Hrytsak

Vorsitzende der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission

 

Kontakt:

Martin Schulze Wessel, Vorsitzender der deutschen Sektion, email: martin.schulzewessel@lmu.de

Yaroslav Hrytsak, Vorsitzender der ukrainischen Sektion, email: hrytsak@ucu.edu.ua