Putins Krieg zielt auf die Vernichtung der Ukraine als Staat und Nation. Die deutsche Politik muss alles tun, um dieses Szenario zu verhindern. Eine Resolution der Deutsch-Ukrainischen Historikerkommission (deutsche Sektion)
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine ist von Präsident Putin mit den Zielen der „Demilitarisierung und Denazifizierung“ der Ukraine verbunden worden. Dass dies die Wirklichkeit auf den Kopf stellt - tatsächlich greift ein hochmilitarisierter diktatorischer Staat eine mit schweren Waffen wenig gerüstete Demokratie an - ist offensichtlich. Weniger deutlich sind der deutschen Öffentlichkeit die Ziele, die sich hinter den Chiffren der „Demilitarisierung und Denazifizierung“ verbergen. Sollte es Russland gelingen, die Ukraine zu unterwerfen, wird die politische Führung in Moskau die Zerschlagung des ukrainischen Staats und der ukrainischen Nation betreiben. In diesem Fall ist mit systematischer Gewaltanwendung gegen die politischen, kulturellen und wissenschaftlichen Eliten der ukrainischen Nation zu rechnen. Wir kennen ein solches Vorgehen aus der Zeit des Massenterrors und der Säuberungen unter Stalin in den 1930er Jahren. Vergleiche, die zur Geschichte des Kalten Kriegs - etwa im Hinblick auf die russische Invasion im Prager Frühling 1968 - gezogen werden, sind eher verharmlosend, denn sie erfassen nicht die umfassendere Systematik der Verfolgung und Unterdrückung, die im Falle einer russischen Besetzung der Ukraine zu erwarten wäre. Putin hat bereits im Tschetschenienkrieg gezeigt, dass er zu einer umfassenden Vernichtung jeglicher unabhängigen Bewegung bereit ist. In Grozny gibt es keine Zivilgesellschaft mehr.
Der russische Angriffskrieg ist als Blitzkrieg, als der er geplant war, gescheitert. Wir sind Zeugen einer neuen Phase der Kriegsführung, in der es um die Einkesselung von Städten und die unterschiedslose Vernichtung von zivilen und militärischen Zielen geht. Auch in dieser Phase sind verschiedene Szenarien denkbar, wir hoffen auf einen Waffenstillstand, der Grundlage für eine neue Ordnung wird, die die Freiheit und die Unabhängigkeit der Ukraine gewährleitet.
Waffenstillstandsverhandlungen können indes der russischen Führung auch dazu dienen, bloß Zeit für die Umgruppierung von Truppenverbänden zu gewinnen, um den grausamen Krieg weiterzuführen. Darauf muss die westliche Staatengemeinschaft vorbereitet sein. Krieg und Besatzung entwickeln schreckliche Eigendynamiken. Auch an mögliche Hungersnöte und eine ökologische Katastrophe, die sich im Donbass bereits anbahnt, muss gedacht werden.
Die Ukraine verteidigt heute Europa. Ein militärischer Sieg Russlands würde die Ukraine zerstören und zugleich die westlichen Werte und die sicherheitspolitische Lage Europas zutiefst erschüttern.
Die Politik muss dies bei ihren Entscheidungen bedenken. Es ist nötig, die Ukraine unterhalb der Schwelle der direkten Konfrontation mit Russland wirkungsvoll militärisch zu unterstützen. Die Sanktionspolitik gegen Russland muss umfassend betrieben und verschärft werden. Die von Bundeskanzler Scholz verkündete „Zeitenwende“ darf sich nicht als leere Formel erweisen.
Kontakt: Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, martin.schulzewessel@lmu.de