Erklärung zum Entzug der Schirmherrschaft durch das Ukrainische Außenministerium

(English version below)

Die Deutsch-Ukrainische Historikerkommission (DUHK) bedauert, dass das Ukrainische Außenministerium, wie am 24.9.2020 bekanntgegeben, ihr die Schirmherrschaft entzieht. Dieser Schritt birgt die Gefahr, dass sich deutsche und ukrainische Geschichtskultur voneinander entfernen. Diese einander anzunähern war das Ziel bei der Gründung der DUHK und diesem Ziel bleibt die DUHK selbstverständlich verpflichtet, mit oder ohne Schirmherrschaft.

Die DUHK ist mit Unterstützung der jeweiligen Historikerverbände 2015 als zivilgesellschaftlicher Zusammenschluss entstanden. Danach hat sie sich erfolgreich um eine Finanzierung durch den Deutschen Akademischen Austauschdienst und die Robert Bosch-Stiftung beworben, die seit dem Januar 2016 gewährt wird. Diese Förderung ist bislang die einzige Finanzierungsquelle der DUHK. Danach hat die DUHK die Außenministerien Deutschlands und der Ukraine um die Übernahme einer symbolischen Schirmherrschaft gebeten, die im März 2016 von den Außenministern Frank-Walter Steinmeier und Pawlo Klimkin gewährt wurde.

Das Außenministerium der Ukraine nennt als Grund für den Entzug der Schirmherrschaft eine mangelnde wissenschaftliche und öffentliche Aktivität der DUHK. Wir überlassen es der Öffentlichkeit, dies zu bewerten. Tatsache ist, dass die DUHK seit ihrer Gründung fünf Internationale Konferenzen, deren Ergebnisse zum Teil publiziert sind, zum Teil bald publiziert werden, durchgeführt hat. Hinzu kommen vier Theorie- und Methodenworkshops mit Teilnehmern aus Deutschland und der Ukraine und zahlreiche weitere Veranstaltungen (Sommerschulen, Panels, Autorenlesungen). Die DUHK baut ein Internetportal zu Schlüsselthemen der ukrainischen und ukrainisch-deutschen Geschichte im 20. Jahrhundert auf, sie hat ein wichtiges Drittmittel-Forschungsprojekt zur Schulbuchforschung eingeworben und einen weiteren großen  Antrag zur Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts eingereicht. Sie hat 32 ukrainischen und deutschen Nachwuchswissenschaftlern durch Stipendien ermöglicht, im jeweils anderen Land zu forschen und dabei vom Netzwerk der DUHK, z.B. durch Beratungen bei Forschungsfragen, zu profitieren. Seit der Gründung der DUHK ist das Netz der Wissenschaftskontakte zwischen der Ukraine und Deutschland im Bereich der historischen Forschung sehr viel dichter geworden.

Die DUHK hat auch in öffentliche Debatten immer wieder eingegriffen. In Bezug auf den Holodomor hat die DUHK zwei Veranstaltungen durchgeführt (an einer Konferenz war sie zusammen mit anderen Partnern beteiligt), sie hat durch Forschungen ihrer Mitglieder die wissenschaftliche Grundlage für den politischen Diskurs erweitert und auch publizistisch in die Debatte eingegriffen. [1] Anders als es der Text des Ukrainischen Außenministeriums nahelegt, ist die DUHK bereit, an parlamentarischen Beratungen zum Thema des Holodomor teilzunehmen, sie hat nur in einem einzelnen Fall eine entsprechende Anfrage der AfD-Fraktion abgelehnt. Bei dem Thema eines Berliner Denkmals für die ukrainischen Opfer der deutschen Besatzungsherrschaft hat sie frühzeitig Position bezogen und eine entsprechende Resolution verabschiedet. Obwohl die eigentliche Aufgabe der DUHK im Bereich von wissenschaftlicher Forschung und Lehre liegt, hat sie immer wieder auch geschichtspolitischen Interessen der Ukraine Rechnung getragen.

Dies kann allerdings nicht auf politische Bestellung hin geschehen. Hier liegt aus unserer Sicht der eigentliche Grund für den Dissens und die Aufkündigung der Schirmherrschaft. Die DUHK wurde am Mittwoch, den 16. September 2020, vom Botschafter der Ukraine Andrij Melnyk durch drei sms-Nachrichten dafür angegriffen, den ukrainischen Historiker Prof. Dr. Georgiy Kasianov zum webinar über den Holodomor eingeladen zu haben. Der Botschafter bezeichnete ihn „als Leugner der genozidalen Natur des Holodomor – und das aus ideologischen Gründen!“ Kasianov leitet die Abteilung für Geschichte der Ukraine an der Nationalen Akademie der Wissenschaften; er ist international z.B. als ehemaliger Fellow von Harvard und auch als Mitglied der Ukrainisch-Österreichischen Historikerkommission sehr renommiert. Selbstverständlich kann die DUHK nicht politischem Druck nachgeben und ihr Tagungsprogramm nach politischen Vorgaben ändern. Im Übrigen zeigt sich anhand der Publikationen Kasianovs, dass er eine abgewogene Position zur Genozidthese einnimmt, die einer politischen Resolution, den Holodomor als Genozid zu bezeichnen, nicht widerspricht. Wir dokumentieren die ungerechtfertigten Angriffe des Botschafters der Ukraine hier (Screenshots vom 16.09.2020, 12:02 Uhr 1, 2, vom 16:09.2020, 13:13 Uhr: 3, und vom 20.09.2020, 15:52 Uhr: 4, 5, 6). Diese stellen nicht den ersten Versuch des Botschafters dar, mit einer politischen Agenda in die wissenschaftliche Tätigkeit der DUHK einzugreifen.

Das Außenministerium der Ukraine kündigt an, eine „Ukrainisch-Deutsche Regierungskommission für historische Fragen“ gründen zu wollen. Botschafter Melnyk hat diese Ankündigung mit der Bemerkung verbunden, er betrachte die DUHK von nun an als Vereinigung von Wissenschaftlern, die „ausschließlich ihre eigene akademische Meinung“ vertreten. Hier liegt der eigentliche Grund des Missverständnisses: Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen können nur ihre eigene Meinung vertreten, ob sie in einer Kommission tätig sind oder individuell. Autonomie von der Politik ist die Grundlage wissenschaftlicher Tätigkeit. Ohne Autonomie von der Politik verliert die Wissenschaft ihre Glaubwürdigkeit und damit auch die Chance, in die Öffentlichkeit hinein zu wirken.

[1] Siehe z.B. von deutscher Seite: Guido Hausmann, Tanja Penter, Instrumentalisiert, verdrängt, ignoriert. Der Holodomor im Bewusstsein der Deutschen, in: Osteuropa 3-4/2020, S. 193–214. Auf der Seite der ukrainischen Sektion liegen von Prof. Dr. Jurij Šapoval zahlreiche Veröffentlichungen zu dem Thema vor. Publizistisch: Martin Schulze Wessel, Hungermord. Das größte einzelne Verbrechen der Sowjetunion ist im Westen noch immer kaum bekannt: Die von Stalin verursachte Hungersnot in der Ukraine 1932/33, Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.3.2020, Die Gegenwart.

 

Statement by the German-Ukrainian Commission of Historians on the withdrawal of patronage by the Foreign Ministry of Ukraine

The German-Ukrainian Historical Commission (DUHK) regrets that, as announced on 24 September 2020, the Ukrainian Foreign Ministry is withdrawing its patronage. This step harbours the danger of German and Ukrainian historical culture moving apart. Bringing them closer together was our goal when the DUHK was founded five years ago. The DUHK remains committed to this goal, with or without patronage.

Our Commission was founded as a civil society association with the support of the respective historians' associations in 2015. It then successfully applied for funding from the German Academic Exchange Service and the Robert Bosch Foundation which was granted since January 2016. This funding is so far the only source of funding for the DUHK. The DUHK then asked the foreign ministries of Germany and Ukraine for symbolic patronage which was granted in March 2016 by the Foreign Ministers Frank-Walter Steinmeier and Pawlo Klimkin.

The Ministry of Foreign Affairs of Ukraine cites a lack of academic and public activity of the DUHK as the reason for the withdrawal of patronage. We will leave that judgment to the public. As a matter of fact, the German-Ukrainian Historical Commission has, since its founding, held five international annual conferences, some of the results of which have been published, some of which will be published soon, four theory and methodology workshops for younger historians with participants from Germany and Ukraine and many cooperative projects such as summer schools, panel discussions and author’s readings. It is developing an internet portal on key topics of Ukrainian and Ukrainian-German history in the 20th century. It has acquired an important third-party funded research project on textbook research and has submitted another major proposal on the history of violence in the 20th century. Through its scholarships, our Commission has enabled 32 young Ukrainian and German academics to conduct research in Germany and Ukraine respectively, and let them benefit from access to the DUHK's network, e.g. by getting advice on research questions. Since the foundation of the DUHK, academic contacts between Ukraine and Germany in the field of historical research have grown into a large network.

The DUHK has also repeatedly intervened in public debates. With regard to the Holodomor, the Commission has held two workshops or conferences (in one of which it was involved together with other partners), it has provided the political discourse on this issue with an academic basis through the research of its members and actively intervened in the debate through its publications.[1] Contrary to what the text of the Ukrainian Ministry of Foreign Affairs suggests, the DUHK is ready to take part in parliamentary discussions on the Holodomor issue; in one individual case only has it rejected a corresponding request from the AfD faction. On the subject of a Berlin memorial for the Ukrainian victims of German occupation, it has voted on, and passed a resolution to that effect very early. Although the actual task of the DUHK lies in the area of academic research and teaching, it has also repeatedly taken account of Ukrainian historical-political interests.

However, the Commission cannot do this on political demand. Our refusal to do so is, in our opinion, the underlying reason for the current conflict and the withdrawal of the patronage. On Wednesday, September 16, 2020, the Ambassador of Ukraine Andrij Melnyk attacked the Commission, sending three text messages, for having invited the Ukrainian historian Prof. Dr. Georgiy Kasianov to our webinar on the Holodomor. The ambassador described him as "a denier of the genocidal nature of the Holodomor - and for ideological reasons!“ Kasianov is currently Head of Department of History of Ukraine at the National Academy of Sciences. He is an internationally renowned scholar, Fellow of Harvard University, and a member of the Ukrainian-Austrian Historical Commission. Of course, the DUHK cannot and will not give in to political pressure and change its conference programs according to political demands. Moreover, Kasianov's publications show that he takes a balanced position on the genocide thesis, which does not contradict a political resolution to call the Holodomor genocide. We feel compelled to document ambassador Melnyk’s unjustified attacks here (screenshots taken on September 16, 2020, 12:02 h 1, 2, on the same day, 13:13 h 3, and on September 20, 2020, 15:52 h 4, 5, 6) because they are not his first attempt to interfere with the Commission’s academic work to serve a political agenda.

Now the Ministry of Foreign Affairs of Ukraine announces its intention to establish a "Ukrainian-German Governmental Commission for Historical Issues". To this announcement, Ambassador Melnyk added the remark that from now on he will consider the DUHK an association of scholars who "exclusively represent their own academic opinion". Here lies the real reason for the misunderstanding: scientists can only represent their own opinion, whether they are active in a commission or individually. Autonomy from politics is the basis of science. Without autonomy from politics, science loses its credibility and thus also its chance to have an impact on the public.

[1] For works from Geman Commission members see: Guido Hausmann, Tanja Penter, Instrumentalisiert, verdrängt, ignoriert. Der Holodomor im Bewusstsein der Deutschen, in: Osteuropa 3-4/2020, S. 193–214. For the Commission's Ukrainian Section, Yury Shapoval, has published numerous works on the topic. For a recent press article see Martin Schulze Wessel, Hungermord. Das größte einzelne Verbrechen der Sowjetunion ist im Westen noch immer kaum bekannt: Die von Stalin verursachte Hungersnot in der Ukraine 1932/33, Frankfurter Allgemeine Zeitung 23.3.2020, Die Gegenwart.