Die gesellschaftliche Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg in der Ukraine seit der Unabhängigkeitserklärung

Das Projekt zielt darauf ab, die komplexe und oftmals widersprüchliche Erinnerungslandschaft der heutigen Ukraine zum Zweiten Weltkrieg zu beschreiben und zu analysieren. Die unterschiedlichen Ansichten bezüglich des Krieges in den ukrainischen Regionen, vor allem in den West-, Ost- und Zentralgebieten vertiefen die innere Spaltung der ukrainischen Gesellschaft. Die in der Sowjetunion herrschenden Narrative des Zweiten Weltkrieges haben diese Ansichten entscheidend beeinflusst, so vor allem durch das anfängliche Schweigen über die UPA und OUN, dann durch die Stigmatisierung der letzteren, sowie die Heroisierung der Roten Armee und das Verschweigen des Holocausts. Die Folgen dieser fehlenden oder nur teilweisen Aufarbeitung des Krieges in der Sowjetunion und sogar nach deren Zerfall haben einen starken Einfluss auf die Prozesse der Geschichtsschreibung und -Interpretierung in der heutigen Ukraine. Nach 1991 fielen diese Vergangenheitsinterpretationen in andere Extreme, wobei sich die Tendenz seit Mitte der 2000er Jahre immer intensiver entwickelte und besonders nach dem Euromaidan 2013-2014 noch einmal verstärkte.  Viele verschiedene Akteure sind in den Streit um die Gestaltung der Narrative des Zweiten Weltkrieges involviert, vor allem der Staat, NGOs, Museen und Gedenkstätten. Wegen des großen Einflusses des Staates auf solche Prozesse wird die Rolle der anderen geschichtspolitischen Akteure häufig unterschätzt.

Die Studie widmet sich der Frage einer Nationalisierung der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg nach der Gründung eines unabhängigen ukrainischen Staates vor dem Hintergrund einer wirkmächtigen sowjetischen Erzählung vom Großen Vaterländischen Krieg. Es wird untersucht, wie die Umdeutung der Geschichte in der postsowjetischen Ukraine stattfindet, in der es unterschiedliche Kriegserfahrungen und Einstellungen zur Sowjetunion bzw. dem heutigen Russland gibt. Im Mittelpunkt steht dabei folgende Leitfrage: Wer versucht auf welche Weise, eine neue nationale Meistererzählung zu etablieren, und auf welche gesellschaftliche Resonanz stößt dies?