Die Karpatenukraine in deutschen Dokumenten (1938-1939)

Der Stellenwert der ukrainischen Frage in der internationalen Politik am Vorabend des Zweiten Weltkriegs lässt sich nur dann begreifen, wenn man die Geschichte der Karpatenukraine berücksichtigt - eines kleinen staatlichen Gebildes, welches zwischen 1938 und 1939 innerhalb der Zweiten Tschechoslowakischen Republik existierte. Die Erscheinung dieses staatlichen Gebildes auf der politischen Landkarte des Kontinents während der "Tschechoslowakischen Krise" führte zur Aktualisierung der ukrainischen Frage - des größten ungelösten nationalen Problems im Europa der Zwischenkriegszeit. Die Karpatenukraine befand sich 1938-1939 im Epizentrum dramatischer Ereignisse und war ein wahrer europäischer "schmerzender Punkt", da hier die Interessen gleich mehrerer wichtiger Akteure im Spiel waren - der Tschechoslowakei, Ungarns, Polens, Deutschlands, der UdSSR, Rumäniens, Italiens, Großbritanniens und Frankreichs.

 

1938 – 1939 wurde die ukrainische Frage zu einem Bestandteil des komplexen internationalen Spiels des nationalsozialistischen Deutschlands, das darauf abzielte, Berlins Dominanz in Mittel- und Osteuropa zu etablieren und eine Gruppe abhängiger und verbündeter Staaten für einen künftigen Krieg auf dem Kontinent zu bilden. Nach dem Münchener Abkommen nutzte das Dritte Reich die Frage der Karpatenukraine als Mittel des diplomatischen Drucks und der Erpressung gegen gleichzeitig mehrere Hauptstädte - Prag, Warschau, Budapest, Bukarest und Moskau, und hielt sie mit der Aussicht, die "Unabhängigkeit" Transkarpatiens zu erklären und das Gebiet für subversive Aktionen und Propaganda unter Verwendung ukrainischer Minderheiten in diesen Staaten zu nutzen, unter Druck. Beeinflusst von den Ereignissen in der Karpatenukraine entstand im Westen die Idee, dass Deutschland die Ukraine erobern würde. In London und Paris wurde die Autonomie der Subkarpatischen Rus als deutsche Idee wahrgenommmen - als erster Schritt zur Eroberung der Sowjetunion.

 

Aufgabe des Forschungsprojekts ist es, deutsche diplomatische und militärische Dokumente zur Geschichte der Karpatenukraine zu suchen, zu finden und zu veröffentlichen. Die Untersuchung soll eine Reihe von Fragen beantworten, die mit der deutschen Politik gegenüber der Karpatenukraine in den Jahren 1938-1939 verbunden sind, den Einfluss verschiedener NS-Behörden auf die Gestaltung der Berliner Politik in der ukrainischen Frage enthüllen, die Rolle des karpatenukrainischen Faktors in Deutschlands Beziehungen zur Tschechoslowakei, zu Polen und Ungarn, zur Sowjetunion und zu westlichen Ländern beleuchten, sowie die Auswirkungen der Ereignisse in der Karpatenukraine auf die Bildung deutscher Konzepte zur Reorganisation des sowjetischen Raums analysieren.