Assimilation oder Abgrenzung? Die Ruthenisierung als Akkulturationsziel unter den galizischen Juden 1848-1918

In meiner Dissertation erforsche ich die Verflechtungsgeschichte zwischen Juden und Ukrainern in Lemberg und Przemyśl 1867-1918/19 und stelle dabei die These auf, dass es unter den galizischen Juden Personen gab, die eine situative Identität als ukrainische Juden annahmen und sich in verschiedenen Lebenslagen mit der ukrainischen Kultur identifizierten. Obwohl sich die Wissenschaft über die Erforschung jüdisch-christlicher Beziehungen seit dem Ende des 20. Jh. zunehmend Formen der Beschreibung und Interpretation von interkulturellen Kontakten bediente, scheinen diese für Juden und Ukrainer in Galizien nicht zu gelten. Die Verwendung verschiedener Ressourcen, verschiedener narrativer Modelle und die prinzipiell unterschiedliche Bewertung der gemeinsamen Vergangenheit standen einer solchen Beschreibung oftmals im Wege.

Im ersten Kapitel meiner Arbeit untersuche ich anhand von ukrainischen Bildungsinstitutionen wie Schulen oder der Lemberger Universität die Frage, inwiefern Bildungseinrichtungen zur Transformation jüdischer Lebenswelten und Selbstverortungen im ukrainischen Milieu beigetragen haben, um schlussendlich die Wechselseitigkeit der jüdisch-ukrainischen Beziehungen in den Lehranstalten aufzuzeigen. 

Im zweiten Kapitel stehen jene jüdischen Personen im Mittelpunkt, die in Lemberg bzw. Przemyśl zur griechisch-katholischen Kirche übertraten, folglich wird die Annahme einer fremden Religion als existenzielle Herausforderung für die eigene Selbstbestimmung kontrovers diskutiert.

In den Diskussionen um die Bewahrung des Judentums vor fremden Einflüssen standen Frauen in der zweiten Hälfte des 19. Jh. verstärkt unter dem Verdacht, für die Schwächung des traditionellen Judentums verantwortlich zu sein. Solche Behauptungen nehme ich im dritten Kapitel zum Anlass, um Antworten auf die Fragen zu finden, inwieweit Gender das Konversions- und Heiratsverhalten unter jüdischen Frauen beeinflusste und in welchem Maße das Ideal der neuen "ukrainischen Frau" ihre Verhaltensweisen rechtfertigte.

Auch die Rekrutierung junger männlicher Erwachsener sorgte innerhalb der jüdischen Gemeinden für Empörung und Entsetzen, da man befürchtete, dass Juden in den europäischen Armeen ihren religiösen Pflichten nicht nachkommen würden, was letztlich den Prozess der Abkehr vom Judentum beschleunigte. Im vierten Kapitel liegt demnach der Schwerpunkt meiner Analyse auf den jüdischen Soldaten, die 1918/19 in den Reihen der Ukrainisch-Galizischen Armee dienten, und der Frage, inwieweit der Militärdienst tatsächlich eine innere Auseinandersetzung mit der eigenen jüdischen Identität zur Folge hatte.