Kiewer Bürger in den historischen Kataklysmen des 20. Jahrhunderts: eine Familiengeschichte ehemaliger Menschen (byvšye ljudi)* in der Ukraine

*rus. Бывшие люди, engl. former people - Menschen, die nach der Oktoberrevolution 1917 in Russland ihren früheren sozialen Status verloren: Adelige, Offiziere der Zarenarmee, die Geistlichkeit, Kaufleute, wohlhabende Bauern

Die politischen Kataklysmen des 20. Jahrhundert, wie Revolutionen und die wiederholte Änderung des politischen Regimes, der Bürgerkrieg, die Ukrainisierung, die Vernichtung durch Hunger, Industrialisierung, der große Terror usw., sowie die Entstehung einer neuen sowjetischen Gesellschaft und eines neuen sowjetischen Menschen beeinflussten nicht nur die soziale Struktur der ukrainischen Gesellschaft, sondern auch den geistigen und moralischen Zustand der Menschen.

Mein Projekt zielt darauf ab, die Strategien und Mechanismen der sozialen und psychologischen Anpassung von Menschen unter den Bedingungen des Klassenterrors, welcher als Mittel des sowjetischen Staates zur Bildung einer neuen Gesellschaft diente, ab den 1920er-1930er Jahren bis zu Chruščovs Tauwetter der 1960er zu analysieren. Dies erforsche ich anhand einer besonderen, nicht-proletarischen sozialen Gruppe von Hauseigentümern, nämlich der aus verarmten Kiewer Adeligen und dem kleinen Bürgertum gemischten Familie Milovskyi.

Das Projekt offenbart die Besonderheiten der Anpassung ehemaliger Menschen an die neue sowjetische Realität, ihre Einstellung zur ukrainischen Nationalbewegung und Unabhängigkeit, die neuen Eigenschaften ihres sozialen, kulturellen und politischen Lebens. Ich untersuche die Abgrenzungsmechanismen der Familie gegenüber der Regierung und der geistig fremden Gesellschaft, sowie Wege zum Erhalt der sozialen Identität der Milovskyis und der zwischenmenschlichen Beziehungen unter den Bedingungen ihrer sozialen Diskriminierung und Rechtlosigkeit.